Blog - Seite 50 von 114 - Evangelische Kirchengemeinde Gütersloh

Text: Jesaja 1, 10 – 18

In der Übersetzung von Hans Wildberger

 

Hört das Wort Jahwes,

Ihr Fürsten von Sodom.

Merk auf die Weisung unseres Gottes,

du Gomorrhavolk.

 

Was soll mir die Menge eurer Schlachtopfer,

spricht Jahwe.

Ich bin satt der Brandopfer an Widdern

und des Fettes der Tiere aus der Mast,

und das Blut der Jungtiere und Böcke – ich mag es nicht!

 

Kommt ihr, mein Antlitz zu sehen...

Wer hat solches von euch verlangt,

so dass man meine Vorhöfe zertritt?

 

Bringt nicht länger Geschenke, die nichtig,

Rauchopfer, die mir ein Gräuel sind!

Neumond, Sabbat, Festtage ausrufen:

Ich mag nicht Frevel und Feiertag!

 

Eure Feste und eure Versammlungen

sind mir tief verhasst,

sind mir zur Last geworden;

ich bin müde, sie zu ertragen.

 

Und breitet ihr eure Hände aus,

verhülle ich meine Augen vor euch.

Und wenn ihr noch so viel betet,

ich höre es nicht.

Eure Hände sind voll Blut.

 

Wascht euch, reinigt euch.

Entfernt die Bosheit eurer Taten,

mir aus den Augen damit!

Hört auf, böse zu handeln,

 

lernt Gutes tun.

Fragt nach dem Recht,

führt den Unterdrückten wohl.

Verteidigt das Recht der Waise,

führt der Witwe Sache zum Sieg!

 

So kommt denn,

und lasst uns miteinander rechten, spricht Jahwe.

Wenn eure Sünde auch blutrot ist,

soll sie doch schneeweiß werden,

und wenn sie rot ist wie Purpur,

so soll sie doch wie Wolle werden.

 

 

 

I

 

Was ist das für eine Anrede?! Nix da, Liebe Gemeinde. So spricht der Prophet Jesaja die Oberschicht von Jerusalem an: Ihr Fürsten von Sodom, und die breite Masse: Du Gomorrhavolk. Sodom und Gommorrha gelten sprichwörtlich als Urstädte des Übels und schlimmster Vergehen - bis heute. Da geht’s zu wie in Sodom und Gomorrha heißt es, wenn Ausschweifung und Rechtlosigkeit bei Namen genannt werden sollen. Wer aus Sodom und Gomorrha kommt, ist an den Pranger gestellt, ist gebrandmarkt, wird diskriminiert.

 

Was das bedeutet, muss ich hier nicht erklären. Sie haben’s im Sommer erlebt im Kreis Gütersloh. Es reichte das GT als Auto-Kennzeichen, um andernorts unerwünscht, gebrandmarkt, ja diskriminiert zu sein - in Corona-Zeiten. Sowas tut weh.

 

Was aber war damals los in Jerusalem, gut 700 Jahre vor Christus? Was reizte zu diesem scharfen Ton?  Die Oberen und das Volk hatten sich versammelt, im Tempelbezirk, wo man sich Gott nahe wusste und in Sicherheit fühlte. Vielleicht zu einem Bußtag versammelt. Mag sein, dass es angesichts der Einkreisung Jerusalems durch assyrische Truppen mit ihrem König Sanherib im Jahr 701 v. Chr. geschah.

 

Der Prophet ergreift das Wort: Hört das Wort Gottes, Ihr Fürsten von Sodom. Merk auf die Weisungen unseres Gottes, du Gomorrhavolk. Jetzt wird’s brisant. In den Worten Jesajas spricht Gott selber. Weisungen Gottes, Wort Gottes. Und was sagt er? Ich bin’s satt. Es ist mir ein Gräuel. Ich mag es nicht. Es ist mir verhasst. Ich bin müde, das zu ertragen. Was soll mir die Menge eurer Schlachtopfer. Eure Feste, eure Versammlungen, ja eure Gottesdienste sind mir tief verhasst.

 

Oft pflegte ein reges Treiben den Tempelbezirk zu beherrschen. Stiere, Widder, Schafe, Ziegenböcke wurden geschlachtet und auf dem Altar verbrannt, um die Gottheit gnädig zu stimmen.

 

Was soll ich mit der Menge eurer Schlachtopfer? Fragt Gott aus dem Mund seines Propheten Jesaja. Und: Wer hat solches von euch verlangt, so dass man meine Vorhöfe zertritt. Das Volk scheint nicht nur auf den Rabatten in den Vorhöfen herumzutrampeln, sondern auch auf Gottes Nerven und seiner Geduld.

 

Aber unsere Probleme heute sind das doch nicht. Weder treten wir Heutigen uns wegen Überfüllung unserer Tempel auf die Füße, noch sind Blutopfer, Opferlämmer, Mastbullen Thema unseres Glaubens. Opfer sind uns Protestanten doch recht fremd. Von so viel Blut wenden wir uns eher schaudernd ab.

II

 

Nein, wir Heutigen opfern nicht dem lebendigen Gott – wohl aber selbstgemachten Götzen. Götzen sind menschliche Wunschvorstellungen, ja, Wunschbilder vom Guten Leben. Wir kennen wohl den Drang und die Lust, solchen Wunschvorstellungen nachzueifern.

Doch Vorsicht! Götzen fordern Opfer. Opfer vor allem von rechtlos gemachten Menschen, und von unseren Mitgeschöpfen - Pflanzen und Tieren. Einige wenige Schlaglichter aus letzter Zeit mögen es vor Augen führen.

Ich habe die Gottesrede Jesajas im Ohr und höre: Ich bin satt der Brandopfer... Ich mag es nicht. Und sehe die Bilder von den Flächenbränden und Feuerstürmen in Australien wieder Ende letzten Jahres, mit Millionen verbrannter Tiere, sehe verheerende Waldbrände im Polarkreis, in Kalifornien... Klar, Brände gehörten dort schon immer zum ökologischen Geschehen. Aber was jetzt abgeht, ist Folge des Energiehungers in den reichen Industrieländern der Erde, des Götzen von Immer mehr. Dieser Götze ist gefräßig. Im brasilianischen Amazonasgebiet werden Brände gelegt. Mutwillig. Die Lunge der Erde wird gerodet für Energiepflanzen wie Soja. Für mehr Fleischproduktion auch hierzulande. Ackerbau hat in Brasilien den Stellenwert der Autoindustrie in Deutschland. Die daraus wachsenden Klimagase heizen die Atmosphäre auf. Mit fatalen Folgen für die Erde und alles Leben. Andernorts gibt es Taifune, Überschwemmungen, Dürrekatastrophen. All dies treibt Menschen in die Flucht, damit sie nicht krepieren.

Ich habe die Gottesrede Jesajas im Ohr und höre: Bringt mir nicht... Rauchopfer, die mir ein Gräuel sind. Und sehe den Rauch über Moria - das hilflos überfüllte Flüchtlingslager auf Lesbos ging in Flammen auf. Die Menschen flüchteten vor Krieg und Elend. Und sitzen an Europas Grenzen fest. Selbst unbegleitete Kinder. Andere ertrinken auf dem Weg dorthin. Werden Opfer des Götzen Hau ab, der Europa Ruhe geben soll vor Flüchtlingen.

Ich höre: Wer hat solches von euch verlangt, dass man meine Vorhöfe zertritt? Und sehe: Naturräume für Pflanzen und Tiere verschwinden. Der Mensch breitet sich aus. Der Götze Mach Boden zur Beute zertrampelt Flora, Fauna und Flur. Viele Lebensarten fallen ihm zum Opfer und verschwinden für immer. Doch darf keine Art fehlen. Keine. Eins fasst ins andere beim Gewebe des Lebens.

Wo Wildtiere in die Enge getrieben werden, breiten Infektionskrankheiten sich aus. Was Wunder, wenn dann Viren die Artengrenze überspringen - wie bei Corona -von Tieren auf Menschen. Unzählige andere Viren schlummern noch und warten nur darauf.

Allein der Erhalt langfristiger Lebensgrundlagen mit der Vielfalt der Arten kann die Welt schützen vor weiteren ruinösen Pandemien.

 

Dabei wirkt die Pandemie Covid 19 derzeit auch wie ein Röntgenbild, sie deckt Risse und Brüche auf im zerbrechlichen Skelett unserer Gesellschaften. Ich höre: Was soll mir die Menge eurer Schlachtopfer, und sehe die Fleischindustrie im Kreis Gütersloh und anderswo. Erst Corona deckte den ganzen unappetitlichen Zusammenhang auf der Marktmacht von Discountern, Massentierhaltung, Großschlachthöfen, Subunternehmen und Ausbeutung von Saisonarbeitern. Der Götze mit Namen Billigfleisch schafft viele Opfer, vorneweg die Tiere, dann die Bauern, deren Ställe überlaufen, weil die Lieferkette zwischen Ferkelproduktion und Schlachtung stockt – (mir stockt als Bauernsohn darob der Atem) – und nicht zuletzt das Opfer der mitgefangenen Menschen im Kreis Gütersloh.

Ich habe die Gottesrede Jesajas im Ohr und höre: Fragt nach dem Recht. Verteidigt das Recht der Waise, führt der Witwen Sache zum Sieg. Und ich sehe eine Alleinerziehende mit ihren drei Kindern im Corona-Lockdown vom letzten Frühjahr. Kleine Wohnung ohne Balkon, Kindergarten und Schule dicht, Spielplatz gesperrt. Ohne ausreichend Licht, Luft und Platz. Dazu knappes Geld.

Corona führte drastisch vor Augen, wie in dieser Wohnung alle vier Menschen behindert werden von ihren Lebensbedingungen, ihre Gaben, Interessen und Talente zu entfalten. Solche Menschen, die auf sich alleingestellt, ohne einen Rückhalt in der Familie oder Sippe leben mussten, waren in biblischen Zeiten die Witwen und Waisen, sprichwörtlich. Oft zählte man auch noch die Fremden dazu. Gott fordert für sie nun nicht Almosen ein, sondern das ganze Recht auf ungeschmälerte Lebensbedingungen, auf unbeschränkte Teilnahme am Leben mit allen seinen Facetten.

 

III

 

Dafür ist nun der Buß- und Bettag da, liebe Gemeinde, all das zu benennen, was falsch läuft im öffentlichen Leben, im Staat, in der Staatengemeinschaft und in der Gesellschaft. Dieses und noch viel mehr.

Nicht das eigene persönliche Versagen steht im Vordergrund des Bußtages, sondern die Verletzungen und Beschädigungen des Lebens im öffentlichen Miteinander. Dazu zählen auch die Übergriffe und Untaten in unseren Kirchen, die in Heimen geschahen und in sexualisierter Gewalt, und - wer weiß? - geschehen.

 

Kurz, es gilt Sünde öffentlich Sünde zu nennen, die Gott einen alten Mann sein lässt, und unabhängig von ihm nur auf den eigenen Vorteil aus ist, gute Beziehungen zerstört, Menschen herabwürdigt und rechtlos machen will und die geschundene Kreatur zerstört. Eure Hände sind voll Blut - heißt es drastisch in Jesajas Gottesrede.

 

Reicht dafür aber dann ein Buß- und Bettag im Jahr? Nein, beileibe nicht. Schon Luther schreibt in der ersten seiner 95 Thesen, dass das ganze Leben der Glaubenden eine Buße sei. Buße ist nie abgeschlossen, hört nie auf. Auch daran soll der einmalige Buß- und Bettag im Jahr immer wieder erinnern.

 

Warum aber war er dann so leicht abzuschaffen als gesetzlicher Feiertag in den 90er Jahren?

 

Wahrscheinlich, weil er so harmlos geworden war. Und unsere Gottesdienste zu lau und flau. Mit den Worten der Gottesrede Jesajas: Eure Feste und Versammlungen sind mir tief verhasst, sie sind mir zur Last geworden, ich bin müde, sie zu ertragen.

 

Ja, wir haben auch Gott selber harmlos gemacht mit unserer Rede vom „lieben Gott“. Der Bochumer Alttestamentler Jürgen Ebach bringt es auf den Punkt mit einem drastischen Vergleich:

„Zuweilen kommt mir auf dem Weg ein mordlustig aussehender Hund entgegen. Während ich angstvoll dem Unheil ins Auge sehe, ruft die Stimme eines ›Herrchens‹: ›Der ist lieb.‹ Und zuverlässig folgt als weiterer Satz: ›Der tut nichts.‹ Die vertraute Wortwahl erlaubt realsatirisch verblüffende Rückschlüsse auf die Rede vom ›lieben Gott‹. Lieb sein heißt: Nichts tun. In dieser Logik zeigt nicht nur eine bestimmte Pädagogik ihr Gesicht, sondern auch eine bestimmte Frömmigkeit. Würde – mit Verlaub – Hund, Kind oder Gott ›etwas tun‹, so wäre es aus mit dem Lieb-Sein. Der ›liebe Gott‹ ist ›lieb‹ – nicht nur solange er nichts, sondern weil er nichts tut. Vor dem lieben Gott muß man keine Angst haben – der tut nichts.“[1]

Der lebendige Gott aber ist nicht harmlos. Er ist ein fordernder Gott der Liebe und auch des Zorns, der das Leben der Menschen nicht einfach bestätigt, sondern umkrempeln will, dass wir füreinander eintreten –- mit Solidarität, Mitmenschlichkeit und der Sorge füreinander. Gott fordert Buße, Aufbruch zum Leben. Habt die Opfer im Blick! Der Bußtag wendet sich vor allem denen zu, die an den Rand der Aufmerksamkeit rutschen oder gar drohen, ins Vergessen zu geraten.

 

Mit der Gottesrede Jesajas: Entfernt die Bosheit Eurer Taten, mir aus den Augen damit. Hört auf, böse zu handeln, lernt Gutes tun! Fragt nach dem Recht, führt den Unterdrückten wohl.

Verteidigt das Recht der Waise,

führt der Witwe Sache zum Sieg!

 

IV

 

Aber Buße – das klingt so gesetzlich - nach Strafe. Dieser Tage fiel’s mir wieder auf. Ich heiße Buß, geschrieben wie Bußtag. Manche nennen mich deswegen auch Buß (mit langem uu). Nun bekam ich eine SMS mit dieser Anrede: Lieber Herr Bußgeld. Die Absenderin kennt meinen Namen sehr wohl. Das elektronische Schreibprogramm hatte den Namen ins Gängige verändert: Buße ist Strafe. Bußgeld eben.

Doch die Buße, von der die Bibel spricht, ist das nicht. Buße ist auch nicht Zerknirschung, nicht Sack und Asche, erst recht nicht Verliebtsein ins eigene Scheitern. Buße, von der die Bibel spricht, lässt nicht den Kopf einziehen, sondern stärkt Menschen im Gegenteil zu aufrechtem Gang und klarem Blick. Buße schafft Aufbruchsstimmung, lässt Menschen aufstehen und sich auf den Weg machen zu dem Leben, das Gott verheißen hat. So wie die Alten der Bibel sich auf Gottes Ruf hin aufmachten in das Neue und Ferne, ohne das verheißene Land zu kennen.

Und wie bei den Alten, begeben wir uns auf solche Wege zwischen der tristen Gegenwart und der verheißenen Zukunft am besten in der Karawane, in der Gemeinschaft, im solidarischen Miteinander, in dem auch die rechtlos Gemachten, die Witwen, Waisen und Fremden zu ihrem Recht kommen.  

Auf dem Weg solcher Karawanen – da bin ich gewiss – wird ein heiterer bußfreudiger Geist zu spüren sein. Und habe selber erlebt, welche wohltuenden Überraschungen dieser bußfreudige Geist bereithält:

Fragt nach dem Recht, führt den Unterdrückten wohl. Unter diesem Motto machten wir uns in den 8oer Jahren in meiner damaligen Gemeinde Gedanken, wie wir die verborgenen Talente und verschütteten Begabungen von Kindern aus den sozialen Brennpunkten ans Licht holen könnten. Und riefen den Kinderzirkus Eldorado ins Leben. Und tatsächlich: Im Zirkus wurden Talente geweckt, die im Schulleben keinen Platz hatten. Ganz viele waren sportlich und tänzerisch gut drauf, mit Gefühl für Bewegung und Takt. Sie wurden Artisten. Andere hatten großes mimisches Potential, wurden zu geschmeidigen Zirkustieren oder wunderbaren Clowns. Die dritten machten Musik, konnten singen oder auch Instrumente spielen. Und die Gruppe Klecks war mit vorzüglichen Malerinnen und Malern besetzt. So entstanden prächtige Plakate. Alle Kinder waren bei der Sache wie sonst nie. So waren wir auf einem trefflichen Weg, ihre verschütteten Talente und Begabungen endlich ins Licht zu setzen.

Doch plötzlich stürzte uns Mirko in eine tiefe Verlegenheit, als er uns fragte: K..k..k..kann ich das machen? Zirkusdirektor wollte er sein. Mirko Zirkusdirektor? Mit seinem Sprachproblem? Das ging doch nicht. Wir redeten uns raus. Das könnten wir spontan nicht entscheiden. Und das müssten wir gut überlegen. Entschlossen uns schließlich, ihn ausprobieren zu lassen, Zirkusdirektor zu sein, auf dass er selber merkte, dass ihn das überforderte.

 

So geschah’s. Als dann sein großer Auftritt kam, stand er da in Frack und Zylinder. Und – o Wunder - die Worte flossen ihm nur so aus dem Mund. Und so blieb es. Mirko musste nur seinen Zylinder aufsetzen, und sein Sprachproblem war wie weggeblasen.

 

Keiner lebt aus sich selbst. Jede und jeder braucht Anerkennung. Umkehrung zum Leben. Durch Mirko wurden wir umgekehrt. Hatten ihm nichts zugetraut. Widerfahrnis des Lebendigen.

Buße, sich auf den Weg machen, ist ein Akt der Befreiuung, verbunden mit der Freude, dass wir lern- und veränderungsfähige Wesen sind. Zugleich Begegnung mit dem Gott, der dir all´ deine Sünden vergibt und heilt alle deine Gebrechen. Und der in der Gottesrede des Jesaja am Ende verheißt: Wenn eure Sünde auch blutrot ist, so soll sie doch schneeweiß werden.

 

Sein Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne.

Amen

 

 

[1] 25 Ebach, Tags in einer Wolkensäule, nachts in einer Feuersäule, S. 789 f.

 

Predigt  zu Matthäus 10, 26b – 33 am 31.10.2020 – Gedenktag der Reformation – Martin-Luther-Kirche Gütersloh

 

Liebe Gemeinde!

Der Predigttext des heutigen Reformationstages steht beim Evangelisten Matthäus im 10. Kapitel:

 

Predigttext Matthäus 10, 26 b – 33

26 Darum fürchtet euch nicht vor ihnen. Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird.

 

Menschenfurcht und Gottesfurcht

27 Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern. 28 Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. 29 Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. 30 Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt. 31 Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge. 32 Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel. 33 Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel.

 

Annäherung

Am Reformationstag 2020, da hören wir den Predigttext auch mit unseren Corona-Ohren:

Darum fürchtet euch nicht.

Das steht am Anfang dieses Predigttextes und steht auch im Zentrum der Reformation damals wie heute:

Hab keine Angst! Habt keine Angst!

 

Die Reformation vor über 500 Jahren ist in einem Klima einer weit verbreiteten gesellschaftlichen Angst entstanden.

Prediger zogen durchs Land, vom Papst und den Bischöfen geschickt, um den Menschen Erlassscheine für ihre Sünden zu verkaufen. Der Erlös sollte zum Bau des Petersdomes in Rom dienen. Und damit möglichst viele verkauft wurden, weckten diese Prediger die Angst vor der Hölle. Die Angst vor den ewigen Strafen in der Hölle. Die Angst vor dem Fegefeuer.

Davon sollten sich die Menschen freikaufen durch die Ablassscheine, durch die Erlassscheine für die Sünden. Freilich: wer viel gesündigt hatte, musste viel zahlen. Und das konnten nur die Reichen. Die armen Menschen hatten keine Chance.

„Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel schwingt“ war der Werbeslogan fürs Heilsgeschäft.

Die Seelen der Armen blieben auf der Erde oder versanken in die Qualgemächern der Hölle.

 

In diesem Klima der Angst lebte Martin Luther.

Er selbst hatte Angst.

Martin Luther hatte Angst vor seinem zornigen Vater – der wollte, dass er Jurist werden sollte – also begann Luther mit einem Jurastudium.

Martin Luther hatte Angst vor Donner und Blitz – deswegen gelobte er für die Rettung aus dem Gewitter den Wechsel ins Kloster.

Angst vor irdischer und himmlischer Strafe.

Angst vor dem strafenden Gott – das prägte sein Denken und Tun zu Beginn.

Daran zu erinnern, dass die Reformation aus einem Klima der Angst herausgewachsen ist, das ist auch heute wichtig, im Zusammenhang unserer gesellschaftlichen und persönlichen Ängste.

Der Angst vor todbringenden Krankheiten damals  – gegenüber der Pest, die damals wütete.

Allein in der Zeit von Luthers Wirken in Wittenberg wurde die Stadt fünfmal von der Pest heimgesucht.

 

Für Martin Luther war es das Studium des Römerbriefes, das ihm die Glaubens- und Lebensfreude gegen seine Angst zurückgab und ihn zu seiner reformatorischen Erkenntnis führte:

Gott ist nicht der strafende Richter, sondern durch Jesus Christus der rettende Vater, die Verkörperung vergebender Liebe.

Er erkannte: Zuerst ist die Liebe.

Und die Liebe vertreibt das Dunkel der Angst.

 

Wie kann mein Leben gelingen?

„Wie kann ich ein glückliches Leben führen angesichts der Abgründe und Widersprüche meines Lebens und der Welt?“, so fragen wir heute.

In anderen Worten und Bildern waren das auch die Lebensfragen des Martin Luther.

Und er findet die Antworten in der Bibel:

In den Abgründen deines Lebens bist du nicht allein.

Dein Leben ist auch im Scheitern gelingendes Leben,

Gott hält dich in seinen Händen.

Auch als Sünder bist du gerechtfertigt.

Deine Schuld hat nicht das letzte Wort.

Gottes gute Mächte sind stärker als der Tod

Gottes neue Welt kommt zu den Menschen allem Elend, aller Not und aller Verzweiflung zum Trotz.

Martin Luther formulierte es so:

Allein aus Glauben, allein aus Christus, allein aus der Schrift, allein aus Gnade.

Vier Jahre dauerte es im Leben Luthers, bis diese innere Zuversicht nach außen drang, von 1513, dem Jahr der reformatorischen Entdeckung des gnädigen und liebenden Gottes bis 1517, bis er sich traute, die 95 Thesen für eine Reform des Glaubens und der Kirche an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg zu schlagen.

 

Den Glauben bekennen

 

Ja, Martin Luther hat sich was getraut.

Was trauen wir uns heute in Bezug auf den Glauben?

 

„Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel.“, heißt es bei Matthäus.

Reformation:

Es geht um den Umgang mit der Lebensangst.

Und es geht um das Bekennen des Glaubens.

 

Bekenntnis

Beim Glauben geht es also um das Bekennen.

Wozu bekennst du dich?

Was ist dein Glaube?

Was sind deine Hoffnungen?

Ist es peinlich, so etwas zu fragen?

Über Glauben - darüber spricht man doch nicht.

Eltern merken das heute, wenn sie Patinnen und Paten für ihre Kinder suchen und merken, der gute Freund, die gute Freundin ist gar nicht mehr in der Kirche.

Müssen wir uns nicht mehr zu unserem Glauben bekennen?

Doch.

Dann, wenn das Enkelkind nach dem Sterben fragt:

„Oma, wie ist das mit dem Tod?

Ist dann alles aus?“

Was glaubst du, gibst es einen Himmel?

Sehe ich dich dort wieder, wenn du gestorben bist?

Wie versuchen sie sie, da zu antworten?

Oder wenn zu entscheiden ist, ob eine medizinische Behandlung im Krankenhaus weiter fortgesetzt wird bei einem schwer verletzten Menschen oder ob die Apparate abgestellt werden sollen.

Welche Entscheidung treffen wir dann?

Oder eine junge Frau ist schwanger – wie entscheiden wir uns?

Hat das etwas mit unserem Bekenntnis zu tun?

In solchen Lebenssituationen ist es Zeit,

vielleicht nicht mit großen Worten, vielleicht eher zögernd und tastend einen eigenen Standpunkt zu finden und einzunehmen.

Sich zu bekennen.

Ansichten sind allerdings noch kein Bekenntnis.

Bekennen ist etwas, wofür man einsteht, im äußersten Fall mit seinem Leben.

Ein Bekenntnis ist etwas, was mein Leben bestimmt.

Es geht um eine innere Haltung, die sich daraus ergibt, dass ich mich als Christ von Gott gehalten wissen darf.

 

 

Wir sind gefragt
Heute am Reformationstag reden wir davon, dass all unser Tun die Antwort ist auf Gottes Liebe zu uns.

Also: Wir sind gefragt! Von Gott selbst.

Bekennst du dich zu mir – oder verkrümelst du dich?

Wir sind gefragt, herauszukommen aus unsern Verstecken.

Das ist es, was Gott braucht. Unsere Antwort.

Unser Reden und Handeln.

Und diese Antwort, sagt Matthäus, muss deutlich ausfallen.

Nein, wir müssen nicht in das Gebrüll der Welt einstimmen.

Es können leise Töne sein – aber vernehmbar.
Wir sind gefragt. Dort, wo wir sind.

An dem Ort, an den wir gehören.

In unseren Familien und Freundschaften, auf der Arbeit und in der Schule, in unseren Gemeinden, unserer Kirche, unserer Stadt, unserem Land.

 

„Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern.“

Wir sind gefragt, Ernst zu machen mit der Liebe Gottes.

Mit allem, für das wir uns schämen.

Mit all unseren Fehlern. Und Sorgen. Und Ängsten.

Wir sind gefragt, uns hervorlocken zu lassen aus der Verborgenheit. Aus dem geflüsterten Wort.
Wir sind gefragt, Verantwortung zu übernehmen für unsere Welt. Für unseren Glauben.
Wir sind gefragt, uns hören zu lassen. Mit Gottes Worten.

Wir verdanken unsere Kirche Menschen, die das getan haben und immer noch tun.

Sie reden Gottes Wort, reden für die, die im Dunkeln sind.

Sagen weiter, was ihnen ins Herz geschrieben wurde.

In dieser Corona-Welt, in der das Singen schwer geworden ist und manchmal das Rufen und das Lachen auch.
Wir sind gefragt, dort, wo wir sind, zu tun, was Matthäus uns als letzte Worte Jesu auf der Erde überliefert:

„Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

 

Gottes Wort wird laut
Mit dieser Lebenszusage Gottes können wir uns sehen und hören. Und müssen uns hören lassen. Laut und deutlich.

In unseren Gottesdiensten reden wir davon.

Bewegen es in unseren Herzen.

Und tragen es hinaus, in die Schatten und das Licht unserer Welt.
In unserem Alltag handeln wir danach.

Wir reden nicht über-, sondern miteinander.

Wir betreiben keine Hetze, sondern stehen ein für die Liebe.

Sehen nicht aneinander vorbei, sondern fragen nacheinander. Wo bist du? Wie geht es dir? Was brauchst du? Möchtest du reden? Soll ich dir zuhören?

Ich bete für dich.
Gottes Worte sind Worte, die aufrichten.

Worte, die stärken und helfen.

Weil nicht nur Spatzen zur Erde fallen, sondern auch wir Menschen stolpern und aus dem Tritt geraten.

Weil wir einander brauchen, um uns sagen zu lassen, was wichtig ist im Leben und im Sterben.

Fürchtet euch nicht.
Das wird man doch wohl noch sagen dürfen. Oder?
Es muss gesagt werden, damit es die Spatzen von den Dächern pfeifen.
Dass das Haar eines jeden Menschen gezählt ist von Gott.

Egal wo.

Auf den Intensivstationen der Krankenhäuser in Belgien, wo die Situation jetzt so bedrohlich ist.

In einer Welt voller Gewalt und Ungerechtigkeit.

Aber auch in der Welt, in der uns Jesus zur Nachfolge ruft.

Bekennen macht frei.

Und aufrecht und befreit dürfen wir gehen.

Fürchtet euch nicht.

Amen.

 

Liebe Gemeinde,

… nun auch noch in Wien! Nach den Anschlägen der vergangenen Wochen zuerst in Dresden, dann in Paris und Nizza nun auch noch in Wien; der Stadt, in der ich so gern im Studium ein Jahr gelebt habe und die ich möglichst oft besuche. Und ich erlebe, wie groß der Unterschied ist, ob etwas dort geschieht, wo man sich auskennt: Ich überlege nach den wenigen Informationen aus den Nachrichten, wo genau es gewesen sein könnte, was dort in der Nähe ist, … .

Brutale Gewalt inmitten der schönen Stadt, – wie können Menschen so handeln?

Aber nicht nur wurden in Nizza und Wien verheerende Anschläge mit Toten verübt, auch zwischen verschiedenen Staatsmännern wachsen die Spannungen, böse unfriedliche Worte werden ausgesprochen. Im Bundestag sprechen AFD-Politiker von Freiheitsentzug, Kriegskabinett und schlimmeren Dingen. … Wer traut eigentlich noch wem? Wer schätzt eigentlich noch seinen Gegner? Wer denkt noch über den Frieden nach? Wer bemüht sich noch, Frieden zu suchen, zu finden und zu vermehren?

Manchmal weiß ich nicht mehr, wie es weitergehen soll und wie ich dem zunehmenden Unfrieden begegnen kann. Ganz langsam und unbemerkt sickert uns der Frieden durch die Hände, wird weniger und scheint zu verschwinden.

Das kann nicht sein

und darf nicht sein! Mit diesem Sonntag hat die Friedensdekade begonnen, und der Frieden wird uns noch einmal mehr ans Herz gelegt. Im vergangenen Jahr haben wir uns in der evangelischen Kirche mit der Jahreslosung "Suche Frieden und jage ihm nach!" (Psalm 34, 15b) beschäftigt. Dieser Vers konfrontiert uns mit einem – besser zwei – Befehlen: Wir sollen den Frieden suchen und ihm nachjagen. Der Frieden hat es offensichtlich nötig, dass wir uns doppelt um ihn mühen – ihn suchen und ihm nachjagen. Ja, der Frieden ist vermutlich das, was uns, unserer Gesellschaft, unserer Welt am meisten fehlt und was wir am stärksten vermissen.

Das Erste und das Neue Testament sind voller Visionen des Friedens: Die Völker werden ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und den Krieg nicht mehr lernen; heißt es bei den Propheten Jesaja und Micha. Bei der Geburt Jesu verkündigen die Engel: „Friede auf Erden“, und Jesus selbst preist die Friedensstifter selig.

Das Wort, das wir suchen und dem wir nachjagen sollen, ist im hebräischen Urtext „shalom“. Shalom hat ein weiteres Bedeutungsspektrum als Friede, Shalom ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Shalom ist in der Sprachwelt des Ersten Testaments ein Zielbegriff des Lebens, der sich auf alle Lebensbezüge bezieht: Wer im Shalom lebt, lebt in einer geheilten Ganzheit mit Gott, mit der Umwelt und mit sich selbst. Shalom bedeutet demnach sowohl Frieden als auch Freundlichkeit, Wohlergehen, Gedeihen, Glück und Ganzheit.

In Israel dient Shalom als universale Grußformel, – zur Begrüßung wie zum Abschied. Es steht für einen Zustand, in dem alles bestens ist, – auf zwischenmenschlicher, emotionaler, materieller, gesundheitlicher, politischer und geistlicher Ebene. Allerdings wird Shalom nicht immer in seinem gesamten Bedeutungsspektrum gemeint.

Ein Beispiel für die umfassende Bedeutung des Wortes ist der letzte Vers des sogenannten aaronitischen Segens, wie wir ihn bis heute am Ende des Gottesdienstes zugesprochen bekommen: Gott gebe Frieden in deinen Beziehungen, Gesundheit, langes Leben, innere Harmonie und Ruhe, Versöhnung mit Gott,

- einen Lebensbereich, in dem du dich wohlfühlst.

Diesen Shalom sollen wir verbreiten. Wir können nicht die Hände in den Schoß legen und sagen: „Wir können doch nichts machen; die da oben haben‘s in der Hand.“ und meinen damit die Politiker und Politikerinnen oder auch die Wirtschaftsbosse.

Nein, wir alle – du, du, Sie, Sie, ich – wir alle gestalten das gesellschaftliche Klima.

Ja, Frieden! Wo können wir ihn finden? Wohin ist er verschwunden? Wir können ihn in der Ferne entdecken und ihm nachjagen!

 

Denn:

Wer Frieden sucht
wird den anderen suchen
und Zuhören lernen
wird das Vergeben üben
wird das Verdammen aufgeben
wird vorgefasste Meinungen zurücklassen
wird das Wagnis eingehen
wird an die Veränderung des Menschen glauben
wird Hoffnung wecken
wird dem anderen entgegenkommen
wird zu seiner eigenen Schuld stehen
wird geduldig dranbleiben
wird selber vom Frieden Gottes leben –
Suchen wir den Frieden?

(Schalom Ben-Chorin, 1913 – 1999)

 

Amen.

 

Passende Lieder:

Verleih uns Frieden gnädiglich (eg 421)

Gib Frieden, Herr gib Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf (eg 430)

 

Pfarrerin Erika Engelbrecht

 

 

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